Zum Inhalt springen

Kosten-Nutzen-Rechnung Krankenkassen kämpfen für Homöopathie

Die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel ist extrem umstritten - doch die Krankenkassen wollen es sich nicht nehmen lassen, für die esoterisch angehauchte Medizin zu zahlen. Sparpläne von Gesundheitspolitikern weisen sie zurück: Für die Versicherungen überwiegen trotz aller Kritik die Vorteile.
Fotostrecke

Homöopathie: Der Streit über die angeblichen Wundermittel

Foto: Frank Rumpenhorst/ picture-alliance / dpa/dpaweb

Berlin - Es klang fast wie zu Zeiten der Großen Koalition. In seltener Eintracht sprang CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn seinem SPD-Kollegen Karl Lauterbach am Montag bei, nachdem sich dieser am Wochenende im SPIEGEL für ein Verbot von Homöopathie-Behandlung auf Kassenrechnung ausgesprochen hatte. Seine Fraktion sei offen für Lauterbachs Vorschlag, sagte Spahn. "Wir haben Wahltarife für Homöopathie seinerzeit auf Wunsch von SPD und Grünen eingeführt." Sollte die SPD nun veränderungsbereit sein, "können wir sofort darüber reden".

Mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), Claudia Roth (Grüne) und Johannes Singhammer (CSU) formierte sich dagegen eine Allianz der kleineren Parteien, die ebenso vehement für eine Beibehaltung des Status quo plädieren. "Grundsätzlich spricht nichts gegen Wahltarife, auch nicht bei der Homöopathie", sagte Rösler der "Passauer Neuen Presse". Singhammer warnte: "Es beginnt vielleicht mit Kürzungen bei der Homöopathie, aber wo endet das?" Roth verwies auf die gesunde Lebensführung, auf die gerade Befürworter von Naturheilverfahren besonders achteten. Diese würden vor den Kopf gestoßen.

Dabei ging es in erster Linie um die eher wissenschaftliche Frage, ob Globuli tatsächlich nachweisbare Heilerfolge bringen - so heißen die kleinen weißen Kügelchen, denen die Verfechter der Naturheilkunde geradezu magische Wirksamkeit zusprechen. Dass sie das nicht können, steht für den designierten Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Jürgen Windeler, außer Zweifel: "Die Homöopathie ist ein spekulatives, widerlegtes Konzept", sagte er dem SPIEGEL. "Dazu muss man auch gar nicht mehr weiter forschen, die Sache ist erledigt." Die Verfechter der Naturheilkunde verweisen hingegen auf etliche Studien, die ihre These stützen.

Minimaler Anteil an den Gesamtkosten

Trotzdem nutzen SPD und CDU die Diskussion als Steilvorlage, um sich als Sanierer des maroden Gesundheitssystems in Szene zu setzen. Überflüssige Leistungen zu streichen, spart viel Geld - das ist die Botschaft.

Bei genauerer Betrachtung allerdings relativiert sich der Effekt. Nach Angaben der Vizechefin des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Barbara Sickmüller, macht der Anteil der Homöopathieausgaben, die die Kassen regulär erstatten, lediglich 0,06 Prozent der Gesamtausgaben für Arzneimittel aus. Rund neun Millionen Euro für Homöopathie stünden mehr als 170 Milliarden Euro Gesamtausgaben der Kassen gegenüber.

Fotostrecke

Bizarre Zutaten: Aus dem Giftschrank der Homöopathie

Foto: Patrick Pleul/ dpa

Von den 28 Milliarden Euro, welche die gesetzlichen Krankenversicherungen 2009 für Arzneimittel ausgegeben haben, entfielen demnach gerade einmal 25 Millionen Euro auf homöopathische Mittel. Einige Kassen übernehmen zwar auch die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Naturmedizin - allerdings nur gegen einen zusätzlichen Beitrag, der laut Gesetz kostendeckend sein muss und deshalb die große Gemeinschaft der Versicherten keinen Cent kostet.

Auch im Vergleich zu den 13 Milliarden Euro, die allein im kommenden Jahr für die Sanierung der maroden Finanzen der Kassen eingesammelt werden müssen, erscheint das Sparpotential lächerlich. Zumal noch in keiner Weise geklärt ist, ob die Streichung dieser Leistung den Kassen unter dem Strich überhaupt Geld sparen würde.

Daran zweifeln nicht zuletzt die Kassen selbst, allen voran die Techniker Krankenkasse. "Rund ein Fünftel unserer Beitragszahler verdienen so viel, dass sie zu einer privaten Kasse wechseln könnten", sagt Sprecher Hermann Bärenfänger. "Wenn wir diese Gruppe im System der gesetzlichen Krankenversicherung halten wollen, müssen wir dafür auch etwas bieten."

Das negative Signal käme die Kassen teurer

Die angesprochenen hochqualifizierten Gutverdiener sind es, die die gesetzlichen Kassen am stärksten entlasten. Sie zahlen den höchsten Beitrag und verursachen gleichzeitig die geringsten Behandlungskosten. Auf der anderen Seite stellen sie aber die größten Ansprüche an die Leistung einer Kasse, sagt Bärenfänger - und dazu gehört Homöopathie.

Diese wiederum kostet die TK relativ wenig Geld. Im vergangenen Jahr machten nur 0,5 Prozent der TK-Versicherten von ihr Gebrauch. Bärenfänger zufolge handelt es sich um keinen dicken Kostenbrocken. Das negative Signal durch ein Streichen der Leistung käme die Kasse teurer.

Auch abseits der Eigeninteressen der gesetzlichen Krankenkassen könnte die Homöopathie ihr Geld wert sein, selbst wenn sich die medizinische Wirkung nicht nachweisen lässt. Die Kassenleistung umfasst nämlich regelmäßig ein- bis eineinhalbstündige Gespräche mit dem behandelnden Arzt, der dabei den oft komplexen Hintergründen der Symptome auf die Spur zu kommen versucht. Da werden Lebensumstände und Ernährungsgewohnheiten abfragt - eine Behandlung, für die im normalen Alltag der Schulmedizin allenfalls fünf bis acht Minuten Zeit bleibt.

In einer Vielzahl der Fälle hilft die ausführliche Analyse, den Einsatz teurer Arzneien und weiterer Untersuchungen zu vermeiden. Und oft stellt sich ein nachhaltiger Behandlungserfolg allein deshalb ein, weil die Patienten aufgrund der Beratung ihre Lebensgewohnheiten ändern.

Bei der Techniker Krankenkasse jedenfalls ist man vom positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis der Homöopathie überzeugt. Bald will man dies mit handfesten Zahlen untermauern. Bärenfänger sagt, das Thema werde derzeit mit einer Studie an der Charité untersucht.