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Strafversetzt wegen guter Noten Grundschul-Rebellin erhält Courage-Preis

Ihr Fall machte Furore: Die Lehrerin Sabine Czerny wurde von bayerischen Schulbehörden strafversetzt - wegen guter Noten und spannenden Unterrichts. Jetzt hat die Lehrerin, die zu wenig Fünfen gab, einen Preis für Zivilcourage erhalten.

Der Notenschnitt ist im Lehrerkollegium das Maß der Dinge. Geht ein normal begabtes Kind mit ein paar Mathe-Überfliegern in eine Klasse, hat es schlechte Karten. Die Arbeit kippt eher in Richtung vier als hinauf zur drei. Sitzen aber in den Bänken links und rechts nur Rechen-Luschen, kann der selbe mittelprächtige Grundschüler schon mal mit einer Zwei glänzen. Es gilt: Der Schnitt muss stimmen. Gerecht ist das nicht, aber das System ist unerbittlich. Und wehe, jemand versucht auszuscheren.

Sabine Czerny: "Noten sollten so sparsam wie möglich gegeben werden"

Sabine Czerny: "Noten sollten so sparsam wie möglich gegeben werden"

Foto: Jan Roeder

Die Lehrerin Sabine Czerny hat eben das getan - und hätte damit beinahe ihren Job als Grundschullehrerin in Bayern verloren. Ihre Schüler wurden besser und besser. Die junge Lehrerin weigerte sich indes, deshalb ihre Notenstufen zu verschieben, nur damit die Kinder neben den Vergleichsklassen nicht zu gut dastehen.

Die Grundschullehrerin aus dem Münchener Raum gerät deswegen seit einigen Jahren immer wieder mit Bayerns Schulämtern in Konflikt. Noten sollten so spät und so sparsam wie möglich vergeben werden, sagt Sabine Czerny, 37. Und sie sollten das wahre Leistungsvermögen der Schüler widerspiegeln. Als sie dieser Maxime folgend neun von zehn ihrer Viertklässler für tauglich befand, in Realschule oder Gymnasium aufzusteigen, zogen die Behörden die Notbremse.

Lernziele versus Sortierauftrag

Sie versetzten die Lehrerin - wegen zu guter Noten. Dieser Widerspruch machte Sabine Czerny, im Schuldienst seit 1996, im vergangenen Sommer über Nacht berühmt. Zeitungen und das TV-Magazin "Monitor"  berichteten über die Frau, sie wurde zu Bildungskongressen eingeladen, es entwickelten sich leidenschaftliche Debatten - auch an Czernys Schule. Die Eltern ihrer Schülern waren glücklich, weil die Kinder plötzlich wieder Spaß am Lernen fanden. Und die Eltern der Parallelklassen waren sauer - weil die Kinder von nebenan so gute Noten kassierten.

Für ihren Kurs hat Sabine Czerny am Dienstag das Karl-Steinbauer-Zeichen für Zivilcourage erhalten - eine Auszeichnung der bayerischen Pfarrbruderschaft "wegen ihres Engagements für humane Schule". Ihre Renitenz hat der Lehrerin aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck aber zuvor eine Menge Ärger beschert. Was ihr widerfuhr, ist schwer in Einklang zu bringen mit dem unbeschwerten Bild, das viele vom Arbeiten an einer Grundschule haben.

"Auch bei Ihnen muss es Fünfer und Sechser geben"

Bayern regelt den Übergang der Kinder auf die weiterführenden Schulen traditionell besonders rigide, was immer wieder zu heftigen Anwürfen durch zornige Eltern führt. Die Schulbehörden und Schulleiter lassen keinen Zweifel daran, dass die Lehrer nicht nur einen Bildungsauftrag haben - sie haben auch einen Sortierauftrag. Grundschullehrer sollen also keineswegs allein dafür sorgen, dass Schüler die Lernziele erreichen oder sogar übertreffen. Sie sind zugleich die Türwächter für das Gymnasium. Und ob ihr Kind es auf eine höhere Schule schafft, wird für viele Eltern zu einer Schicksalsfrage.

Als sie eine junge Lehrerin in einem Städtchen südlich von München war, fiel Czerny nicht durch Widerstand gegen diese Mechanik auf. Schulämter schätzten ihr Verhalten noch als "weitgehend unauffällig" ein, wie es in einem Behördenpapier heißt. Als sie jedoch später begann, den Unterricht zu verändern, und als ihre Schüler überragende Noten erzielten, begann der Spießrutenlauf.

Mehrfach wurde Sabine Czerny bei ihrer Schulleiterin und von übergeordneten Kultusbeamten einbestellt. Man verbot ihr so etwas Harmloses wie den Morgenkreis - ein pädagogisches Instrument, bei dem Schüler vor dem Lernbeginn miteinander ins Gespräch kommen. Man wollte sie zwingen, für ein Mädchen den Förderunterricht anzuweisen - aber sie widersetzte sich. Man bedeutete ihr, sie solle das Notenspektrum voll ausschöpfen: "Auch bei Ihnen muss es Fünfer und Sechser geben", wies sie ein Schulbeamter an.

Sabine Czerny ist eine fröhliche Person. Aber zu etwas zwingen, was ihren Prinzipien widerspricht, lässt sie sich nicht gern. "Wir müssen jedes Kind zum Erfolg führen", heißt ihr pädagogisches Mantra. "Ich wehre mich dagegen, dass es dumme Kinder geben muss." Deswegen vertritt sie in aller Öffentlichkeit weiter die Meinung, dass Noten ein Übel sind.

Gefährdeter Schulfrieden?

Den Schulbehörden gefiel das gar nicht. Sie ordneten eine amtsärztliche Untersuchung der Lehrerin an. Zweck: psychologische Begutachtung und eventuelle Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand - "aus Fürsorge".

Den Psychotest überstand Czerny mühelos. Aber als ihre vierte Klasse bei Arbeiten hintereinander einen Notenschnitt von 1,8 und 1,6 errang, wurde es den bayerischen Behörden endgültig zu bunt. Sie versetzten die Lehrerin an eine andere Schule - weil, so die amtliche Begründung, "der Schulfriede nachweislich und nachhaltig gestört" sei.

Damit wurde Sabine Czerny endgültig zum Symbol, nach dem Motto: Wer seine Schüler mit tollem Unterricht zufrieden macht und zu gute Noten vergibt, wird strafversetzt. "Sie hat die gängige Art der Leistungsbewertung und die damit verbundene Klassifikation von Kindern in Frage gestellt", steht nun in der Urkunde ihres Courage-Preises der Bayerischen Pfarrbruderschaft, den sie am Dienstag erhielt.

Dealer im Lehrerzimmer

Klaus Wenzel, den Präsidenten des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, wundert es nicht, dass eine Lehrerin wie Sabine Czerny aneckt. "Wenn ich in deutsche Lehrerzimmer gehe, habe ich immer das Gefühl, lauter Dealer zu sehen", sagte er SPIEGEL ONLINE. "Alle denken ständig nur an ihren Stoff. Wir brauchen aber einen neuen Lernbegriff. Wir müssen weg vom Bulimie-Lernen, das nur auf Noten und die nächste Klausur zielt."

Wenzel lobte Sabine Czerny in höchsten Tönen - und doch störte ihn auch etwas an dem Preis: "Es macht mich nervös, dass man im 21. Jahrhundert noch Zivilcourage braucht, wenn man sich für gute Schule einsetzt."

Den Preis für Zivilcourage hätte Czerny übrigens formell gar nicht entgegen nehmen und dabei über ihre Motive sprechen dürfen. Die bayerischen Kultusbehörden verlangen nämlich, dass sie sich nicht öffentlich über Schulangelegenheiten äußern darf.

An ihrer neuen Schule fühlt Czerny sich nun wohl. Man hat ihr eine erste Klasse gegeben - weil sie da noch keine Noten zu verteilen braucht. Ihr neuer Schulleiter hatte sich den Unterricht angesehen und eine sehr gute Beurteilung der 37-Jährigen verfasst. Damit wäre die Welt der Sabine Czerny eigentlich wieder in Ordnung gewesen.

Doch wie SPIEGEL ONLINE vom zuständigen Schulrat erfuhr, ist die gute Beurteilung auf Weisung der Regierung von Oberbayern zurückgezogen worden. Ihr Schulleiter habe einen Formfehler begangen und nicht "alle Erkenntnisse über Frau Czerny aus den Schulen einbezogen, an denen sie vorher war", sagte Fürstenfeldbrucks Schulrat Joachim Linkert. Der Text müsse geändert werden. "Aber auch die Beurteilung, die sie jetzt bekommt, ist nicht schlecht."

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