WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Theater: Die verstörenden Puppen der Suse Wächter

Kultur Theater

Die verstörenden Puppen der Suse Wächter

Feuilletonredakteur
Quelle: Salzburger Festspiele
Gegen sie war Dr. Frankenstein ein Stümper: Suse Wächters künstliche Geschöpfe beleben seit langem das Theater. Jetzt hat sie für die Salzbuger Festspiele Wesen erdacht. WELT ONLINE hat die Puppenmacherin in ihrer Werkstatt besucht.

Im Halbdunkel hinter der hölzernen Verschlagtür geht es zu wie auf einem Bild von Spencer Tunick, der für seine Fotografien Hunderte von Nackten übereinander legt. Nur stünde bei Tunick niemals ein Pferd zwischen all den verschlungenen Menschenleibern herum.

Hier sind es bloß etwa 100 oft gespenstisch lebensechte Figuren, die die Puppenspielerin und -bauerin Suse Wächter im Keller ihrer Wohnung im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg lagert. Viele hat sie mit Hilfe einer „frankensteinmäßigen Operation“ schon mehrfach umgestaltet und zu neuem Theaterleben erweckt. Wie eine gute Schauspielagentin kann sie das Rollenverzeichnis ihrer Darsteller auswendig: „Das Kind hier wurde in der ,Orestie’ geopfert, vorher war es bereits in ,Szenen einer Ehe’ ein kleiner Amor.“

Anfang im Maxim-Gorki-Theater

Manche von den Figuren werden am Wochenende wieder ganz neue Rollen spielen, wenn bei den Salzburger Festspielen Christian Weises „Sommernachtstraum“-Inszenierung Premiere hat. Dafür hat Suse Wächter die Puppen gebaut. Sie stattet längst nicht mehr bloß Inszenierungen aus, in denen sie selbst mitwirkt. Für Weise hat sie auch schon kürzlich bei „Biedermann und die Brandstifter“ in Zürich gearbeitet.

Wann immer im deutschsprachigen Theater Figuren oder Masken benötigt werden, ist die 38jährige die allererste Adresse. Nun bevölkern ihre Schöpfungen nach erfolgreichen Jahren in experimentellen Häusern wie dem TAT, dem Schauspiel Frankfurt, der Berliner Volksbühne oder dem Hamburger Thalia-Theater auch die edelste Hochkulturboutique in Salzburg.

Die Karriere der gebürtigen Thüringerin begann 1995 mit einer kleinen Produktion in Berlin, die dennoch so fein war, dass sie legendär wurde. „Weihnachten bei Iwanows“ hieß das Stück im Studio des Maxim-Gorki-Theaters. Inszeniert hatten Robert Schuster und Tom Kühnel, die damals – genau wie Suse Wächter – noch an der Ernst-Busch-Schule studierten. Es war der Beginn einer langjährigen Arbeits-Partnerschaft.

Ein Pferd für Richard Wagner

Für die Möglichkeit, ab dem Ende des ersten Studienjahrs mit Schauspiel- und Regie-Kommilitonen spartenübergreifend zusammen zu arbeiten, ist die damalige Puppenspiel-Studentin Wächter heute noch dankbar.

Seitdem weiß sie, dass für Schauspieler die Arbeit mit Figuren oft eine wahrhaft bewusstseinserweiternde Erfahrung ist: „Eine Puppe kann ein Hilfsmittel sein, sich zu externalisieren, also sich aus sich herauszudenken. Deswegen werden sie ja auch in der Therapie benutzt.“

Als Schuster und Kühnel dann 1999 die Leitung des Frankfurter TAT übernahmen, ging auch Suse Wächter mit und stattete dort u. a. den „Ring des Nibelungen“ aus, den das junge Regisseursduo frei nach Wagner als reines Theaterstück inszenierte. Aus dieser Produktion stammt das Pferd im Keller. Diese Puppe steht von allein, weil niemand so eine große Figur tragen kann: „Aber sie muss von drei Spielern bewegt werden, einem für den Kopf und zwei für Vorder- und Hinterbeine.“

Den Puppen unter die Haut schauen

Mit dem Nachdenken über Technik beginnt jede ihrer Schöpfungen: „Man zerbricht sich erst mal den Kopf über praktische Einzelaspekte. Braucht die Figur tatsächlich Kniegelenke? Welche Blicke, Gesten und welche Körperhaltung sind später gefragt?“ Dabei kämpft sie ständig gegen das „Puppenstereotyp“, dass Figuren wie ihre immer mechanisch wirkende Bewegungsabläufe haben.

Anzeige

Für Suse Wächter ist die Puppe ein „Umweg zum Lebendigen“. Sie will den kleinen künstlichen Menschen Leben einhauchen: „Pygmalion ist mein Schutzheiliger.“ Die Grundlage dafür ist die Kenntnis der Anatomie: „Man muss den Menschen und Tieren unter die Haut gucken wie bei der ,Körperwelten’-Ausstellung. Je weniger man abstrahiert, desto eher macht die Puppe ,richtige’ Bewegungen.“

Doch auch bei der Oberfläche des Puppenmechanismus ist Suse Wächter nicht frei. Sie muss sich beispielsweise fragen, ob das Gesicht einen Affekt braucht. Wenn die Puppe viel spricht, ist es vielleicht besser, den Ausdruck möglichst neutral zu halten, damit kein Widerspruch zwischen der Emotion des Gesichts und dem Text klafft. Aber manchmal ist ein ganz bestimmter Ausdruck das Entscheidende, wie bei der Gagarin-Kosmonauten-Puppe für „Helden des 20. Jahrhunderts“: „Der war mir besonders wichtig. Der hatte so ein naives heldisches Lächeln, das man auch viel für die Propaganda sehr genutzt hat.“

Ihr Selbstporträt sitzt neben Mutter Teresa

„Helden des 20. Jahrhunderts“ ist das Meisterwerk, in dem man die vielen Talente der Suse Wächter in ihrer ganzen Bandbreite bewundern kann. Dieser satirisch-phantasievolle Spaziergang durch das vergangene Säkulum entstand für das Frankfurter TAT und wurde, als ihn die Berliner Volksbühne übernahm, noch einmal kräftig um Szenen nach der Wiedervereinigung erweitert.

Es spielen nur Figuren, die Wächter gebaut hat, und hier wird anschaulich, was das Wort „Puppen spielerin “ meint: Suse Wächter lässt ihre Geschöpfe mit unzähligen Stimmen sprechen, wenn sie Dialekte und Akzente imitiert, ist sie umwerfend. Sie hat eben auch ein tolles Darstellertalent. Man glaubt sofort, dass bei ihr schon immer „der mimetische Grundimpuls zum Nachahmen“ ausgeprägt gewesen sei.

Der Impuls macht natürlich auch nicht vor ihr selbst halt. In der kleinen Werkstattwohnung sitzt zwischen Hitler, Stalin, Roosevelt, Mutter Teresa und Muhammad Ali auch eine Puppe, die Suse Wächter als Selbstporträt gestaltet hat. Das Frankenstein-Schicksal, für den „Sommernachtstraum“ zur Elfe umgebaut zu werden, ist ihr erspart geblieben.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema