Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.

Ungarn Wie Orban EU-Gelder an Vertraute verteilt

Stand: 23.07.2020 01:55 Uhr

Nach dem EU-Gipfel feierte Ungarns Ministerpräsident Orban, viel Geld herausgeholt zu haben. Doch das könnte Hilfsbedürftige nicht erreichen. Denn laut Beobachtern werden Zahlungen aus Brüssel seit 2010 systematisch abgezweigt.

Daniel Freund kennt die Korruptionsvorwürfe gegen Ungarn schon lange. Aber der Grünen-Abgeordnete im Europa-Parlament wollte sich selbst ein Bild machen. Er ist Mitglied im Haushaltskontrollausschuss und zuständig dafür, dass EU-Gelder nicht zweckentfremdet werden. Vor gut drei Wochen reiste der Europaabgeordnete durch Ungarn. Das Ergebnis sei für ihn schockierend gewesen, sagt er:

Ich hab in Ungarn mit Aktivisten, Politikern, Journalisten gesprochen. Und alle sind sich in ihrer Einschätzung einig: Seit Orban 2010 die Macht in Ungarn übernommen hat, werden EU Gelder relativ systematisch abgezweigt. Und teilweise fließen die Gelder auch in die eigenen Taschen von Orban, seiner Familien und seinen engsten Freunden.

Ausschreibungen für große EU-geförderte Aufträge würden manipuliert, berichtet Daniel Freund. Mit dem Ziel, dass Bewerber aus Orbans engstem Umkreis den Zuschlag bekommen. "Ein konkretes Beispiel dafür ist der Schwiegersohn von Viktor Orban", so Freund. "Der hat mit LED-Straßenlampen 65 Millionen Euro aus öffentlichen Verträgen bekommen." Es ging um neue Straßenlaternen für ganz Ungarn.

Unkontrollierter Fluss von Geldern

Ein Politiker, mit dem Daniel Freund in Ungarn gesprochen hat, ist Akos Hadházy. Er war Mitglied in Orbans Regierungspartei Fidesz, trat dann aus. Jetzt sitzt Hadhazy als parteiloser Abgeordneter im ungarischen Parlament und berichtet ebenfalls über den Aufstieg eines engen Freundes von Victor Orban.

Offiziell ist der reichste Ungar Lorinc Mészáros, der seit seiner Kindheit der beste Freund von dem heutigen Ministerpräsidenten ist. Meszaros war vor zehn Jahren ein einfacher Gasinstallateur ohne Vermögen. Jetzt ist sein Vermögen auf etwa zwei Milliarden Euro geschätzt. Seitdem gewinnen seine Firmen jede öffentliche Beschaffung, wo sie ein Angebot abgeben.

Die großen staatlichen Projekte seien fast immer auch mit EU-Geldern finanziert. Der ungarische Abgeordnete fragt sich, warum die EU jedes Jahr Milliarden Fördermittel nach Ungarn überweist, und nicht kontrolliert, wo die Gelder ankommen.

EU-Kontrollsystem versagt

Die Fälle sind längst in Brüssel bekannt. Das EU-eigene Amt für Betrugsbekämpfung OLAF hat schon viele Ermittlungen eingeleitet - und im Fall der Ausstattung des gesamten Landes mit Straßenlaternen durch Orbans Schwiegersohn sogar einen organisierten Betrugsmechanismus nachgewiesen. OLAF übergab den Fall der ungarischen Staatsanwaltschaft, aber die war der Meinung, es liege kein Verbrechen vor. Daniel Freund sagt:

Das EU-Kontrollsystem versagt bisher im Fall von Ungarn völlig. Weil das ganze System darauf ausgelegt ist, dass die Kontrollen in den Mitgliedsländern gemacht werden.

Regierungschef Orban will, dass das so bleibt. Jedes Jahr kommen mehr als vier Milliarden Euro Fördergelder aus Brüssel in seinen Haushalt, Ungarn ist der zweitgrößte Netto-Empfänger in der EU, nach Polen. Beim Sondergipfel in Brüssel drohte Orban, das Aufbau-Paket gegen die Corona-Schäden platzen zu lassen, wenn die Fördergelder an die Einhaltung des EU-Rechts gekoppelt würden - zum Beispiel Unabhängigkeit der Gerichte und Pressefreiheit. Der niederländische Premier Mark Rutte hatte das gefordert, einige andere auch,  es kam zu einem hitzigen Wortwechsel. Orban tobte.

"Ich weiß nicht warum der niederländische Regierungschef mich persönlich und Ungarn hasst", sagte Orban nachher vor Journalisten. Und beklagte sich, Rutte wolle Ungarn finanziell bestrafen. Inakzeptabel sei das. In den Gipfelbeschluss kam dann nur eine vorsichtige Formulierung zur Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien.

Europaparlamant will heute Klarheit

Das Europaparlament will heute in einer Resolution Klarheit fordern, man will konkret wissen, ob und wie die Auszahlung von EU-Geldern wirklich von der Einhaltung der europäischen Rechtsstaatsregeln abhängig gemacht wird.

"Ich hoffe, dass wir das in den Verhandlungen noch hinbekommen," so der EU-Abgeordnete Freund, "dass es diesen Schutz des Rechtsstaats braucht, dass wir verhindern müssen, dass in der EU Leute mit EU-Geldern unfassbar reich werden und die Gelder am Ende nicht da ankommen, wo sie eigentlich hin sollen."

Helga Schmidt, Helga Schmidt, ARD Brüssel, 23.07.2020 05:27 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 23. Juli 2020 um 08:08 Uhr.